Sonntag, 1. Mai 2011

Seien wir realistisch

Ständig begegnen wir Menschen, die „hiergeblieben“ sind, obwohl sie laut Vertrag nur für wenige Jahre in Guatemala bleiben sollten. Zwei deutsche Lehrer, die ihre Doppelhaushälften in Düsseldorf verkauft haben und sich davon ein modernes Kolonialhaus in der Nähe von Antigua haben bauen lassen – von der Hängematte aus hat man zwei Vulkane im Blick, davon einen tätigen. Die Britin, die vor fünfzig Jahren als Botschaftsangehörige hierher kam, Reiseführer und Kinderbücher schreibt - und immer noch vom Gin aus dem Botschafterinnen-Kühlschrank nehmen darf.

Und Jaques. Früher hatte Jaques Guatemala öfter mal als Wirtschaftler einer amerikanischen Entwicklungshilfebank besucht. Und jedes Mal überlegte er, was er machen könnte, um ganz hierbleiben zu können. Eine seiner Ideen war kühn und wenig naheliegend: Er wollte Wein anbauen. Als seine Frau und er ein Stück Land auf halber Höhe des Agua-Vulkans in der Nähe von Antigua angeboten bekamen, brachen sie die Brücken hinter sich ab und begannen ihr Abenteuer.

Heute wollten wir sie besuchen und mussten uns erst einmal sehr fürchten. Der von Guatemala aus kürzere Weg (30 km insgesamt) war beim letztjährigen Tropensturm Agatha zu einem ausgewaschenen, nahezu unpassierbaren aber steilen Geröllwahnsinn geworden. Das war nach der Drucklegung unserer Landkarten. Nur die pure Verzweiflung ließ uns über die nächsten Felsenstückchen hoppeln. Die Nerven lagen blank. Zurück zu fahren wäre ja noch trauriger gewesen. Aber - würde es nach der nächsten Kurve überhaupt noch weitergehen? Nach einigen Telefonaten mit Álvaro, dem Küchenchef, mit dem festen Vertrauen auf unseren Hyundai Santa Fe und viel Hunger und Durst kämpften wir uns weiter bergauf. Selbst die Kinder hatten irgendwann aufgehört zu quengeln und starrten aus dem Fenster. Als wir gerade die Höhe der Wolken erreicht hatten, fanden wir den Eingang zum Chateau Defay und bald darauf den Parkplatz des kleinen Schlösschens.

Ach, was der Anblick eines echten Weinguts auslöst! Wie viele Überraschungen dieses Land doch zu bieten hat! Wir aßen italienische Antipasti und grüne Fettucini und tranken einen herrlich kalten rosa Claret. Danach folgten wir Álvaro durch die Wolken über das Gut. Mit über 30 Sorten Wein hätten sie in den letzten 10 Jahren experimentiert – 12 haben sich bewährt. „Manchmal beneiden wir die Leute, die Tomaten anbauen. Wenn es ein Problem mit den Pflanzen gibt, fragen sie den Nachbarn und der weiß Rat. Oder sie fahren runter nach Antigua und kaufen etwas dagegen.“
Im letzten Jahr hatte der Tropensturm nicht nur die Straße aus der Hauptstadt hierher zerstört sondern auch die Wurzeln der Pflanzen freigelegt. Kurz danach waren sie mit irgendetwas befallen – ein Pilz, wie sich später herausstellte. Keine Ernte im vergangenen Jahr. Doch langsam rappeln sich die Pflanzen wieder auf. Als wir an einem Moscatel-Feld vorbeilaufen, nehme ich mir ein paar Trauben. Sie sind himmlisch aromatisch und süß. Ganz genau wie Angie’s Blend, der Weißwein, den Jaques‘ Frau kreierte. 120 Quetzales kostet die Flasche, 12 €. Unser Hauswein wird das wohl nicht werden. Zwei Flaschen haben wir trotzdem mitgenommen. Und noch die halbe Claret vom Mittagessen. Und wiederkommen werden wir auch bald. Nur dann über die geteerte Straße von Antigua.

Fotos diesmal leider nur vom Mobiltelefon.