Sonntag gegen halb acht
wache ich in einem fremden Bett auf. Ein schmales Zimmer, zwei Betten, Licht
dringt durch das kleine Fenster über dem Schreibtisch. Ophelia ist schon wach. Von
draußen höre ich das Klappern von Geschirr, Kinderstimmen. Wir sind zu Gast bei
Peter Mettenleiter in dem Dorf Cabricán,
etwa 60 km nördlich von Quetzaltenango. Der Ort, in dem er nicht geboren ist,
aber in dem er begraben sein will. Auf dem Weg zu diesem Ort konnten wir den Tajumulco sehen, den mit 4.200 m
höchsten Vulkan Zentralamerikas, dahinter ist die mexikanische Grenze. Ist es
nicht schön hier? Fragte er gestern. Ja, es ist schön hier. Berge ringsum,
Wald, von Schluchten durchzogen, irgendwo weiter unten ein Flüsschen, Ruhe.
Am Abend vorher saß ich
noch mit ihm in der Sala am Kamin. An
der Wand gewebte und bestickte Stoffe, etwa mit der Aufschrift: „Felicidades Padre Pedro 50 años de
sacerdocio“. Das Jubiläum ist auch schon wieder ein paar Jahre her. Weit
mehr als die Hälfte seiner 50jährigen Priesterzeit verbrachte er in Guatemala,
einige Jahre auch hier in Cabricán. In manche Orte musste er zum Gottesdienst
auf dem Pferd reiten. Jetzt gibt es Straßen – und überall Kirchen, wo er
gewirkt hat. Er hat sie selbst entworfen.
Peter Mettenleiter beim ökumenischen Gottesdienst |
Er erzählt, wie er nach
Cabricán zurückkam, ja, zurückgeholt wurde, nachdem er schon seinen Ruhestand
in Deutschland begonnen hatte. Nein, Ruhestand war nichts für ihn, er wurde
krank davon. Dann lieber zurück zu den Leuten hier, die ihn brauchen. Hier,
nach ein paar Jahren Priesterdienst an einem anderen Ort des guatemaltekischen
Hochlands (San Bartolo Aguas Calientes, Totonicapán) war er nun, 2011, zum
zweiten Mal in den Ruhestands-Versuch getreten. Und die Leute aus Cabricán
waren zu ihm gekommen und hatten gesagt: Wenn Du schon in unserem Dorf begraben
sein willst, dann kannst Du auch vorher noch ein wenig bei uns leben. Und sie
bauten ihm ein geräumiges Haus, vermutlich das erste Pfarrhaus der Welt, das
für einen pensionierten Pfarrer gebaut wurde.
Sonntagsfrühstück mit Graubrot
und weichgekochtem Ei. Es riecht behaglich in der Küche. Gekocht wird auf
Holzfeuer. Holz gibt es reichlich. Im Gegensatz zu Eierbechern, da muss man
sich mit Schnapsgläschen behelfen. Das Brot hat Lesbia gebacken, die junge Haushälterin. Zwei Kinder sitzen mit am
Tisch, der zehnjährige Kevin und die
fünfjährige Ana Cristina. Sie sagen Papa zu dem Pater, die leiblichen Väter
haben sich nie gekümmert, wie bei so vielen guatemaltekischen Kindern. Ophelia
wird von Cristina neugierig beobachtet. Ophelia braucht länger, um mit anderen
warm zu werden. Die Kinder von Lesbia haben es gestern schon vergeblich
versucht. Vielleicht klappt es heute.
Wir laufen zur Kirche und
sind spät dran. Das Kirchengebäude ist eine Baustelle, an den Altarraum wird
ein Querschiff angesetzt, das vermutlich nochmal so viele Gottesdienstbesucher
aufnehmen soll wie vor dem Umbau. An der Kirche sieht man, wie das Dorf wächst.
Der Gottesdienst findet solange in der Festhalle statt, und weil die auch nicht
ausreicht, sitzen 60 Leute draußen und hören über Lautsprecher zu. Drinnen und
draußen ist jeder Platz besetzt. Der junge Pater Mario hat schon angefangen.
Als wir eintreten, wird Peter über Mikrofon willkommen geheißen, Applaus. Pater
Mario liest Briefe vor. Fast alle beginnen so: „Und hier noch ein Brief von …
aus den Vereinigten Staaten“, etwa 20 Briefe. Man hat den Eindruck, das Dorf
hat in den USA eine Außenstation.
Gringohäuser nennt Peter die Häuser, die mit dem Geld der in der Fremde lebenden
Verwandten gebaut werden. Immer mehr sieht man hier davon. Schau dir diese
nutzlosen Balkone an, sagte er gestern bei der Hinfahrt. Die lieben Verwandten
in der Fremde werden in die Fürbitten eingeschlossen, sie haben es als illegale
Arbeitskräfte nicht leicht, manche kommen dort gar nicht erst an. Mit den Gringohäusern verändert sich hier nicht
nur die Landschaft, sondern vermutlich auch das soziale Gefälle etwas.
In Cabricán |
Wir sitzen neben der
Band, Schlagzeug, zwei oder drei Gitarreros, Sänger. Die Kirchenmusik ist so
volkstümlich wie die Kleidung: Die Frauen tragen Huipiles und darüber die
reichbestickten Tücher, Tzutes, entweder auf dem Kopf oder um die Schultern
gelegt. Pater Mario, er hat in Rom studiert, predigt fröhlich und volksnah. Bei
dem Weg, der dem kommenden Heiland bereitet werden soll, erwähnt er den
schlechten Zustand der Straßen. Bis die repariert werden, kann es ewig dauern.
Es sei denn, der Präsident der Vereinigten Staaten kommt … Auf dem Gebäude gegenüber vom Festsaal sehe
ich folgenden Schriftzug: „Centro de Formacion (Ausbildungszentrum) Padre Pedro
Metenleiter“, das fehlende „t“ im Namen müssen sie irgendwann noch nachtragen.
Der Rückweg zum Haus
dauert länger, ab und zu wird sein Name gerufen und wir müssen auf einen
Schwatz anhalten. Der Bürgermeister, die Lehrer der Schule, er kennt sie alle.
Es sind seine Kinder. Neben seinem Ruhesitz steht die Schule, seine Schule,
erbaut mit Geld aus Deutschland. Darin eine Zahnarztpraxis. Beim Mittagessen
erzählt er: Jedes Jahr wechseln die Zahnärzte, denn sie kommen nur für ihr
Pflichtjahr nach Cabricán. Manchmal müssen sie ein Vierteljahr auf einen neuen Dentista warten. Dann kommen die Leute
mit ihren geschwollenen Backen zu ihm.
Irgendwann hat er sich
von einem Pflichtjahrzahnarzt zeigen lassen, wie man Zähne zieht, wie man die
Betäubungsspritzen ansetzt (oben ins Zahnfleisch, unten direkt in den Kiefer).
Was sollte ich machen, wenn die Leute mit Schmerzen vor meiner Tür standen?
Also hinein in den weißen Kittel. Mittlerweile habe ich wahrscheinlich über 200
Zähne gezogen. Sein Pflichtjahr als Zahnarzt hat er lange hinter sich.
Padre Pedro ist über 80. Keine
Spur von Erschöpfung. Er wird gebraucht. Fast täglich ist er mit einem seiner
drei Autos (alles Spenden) unterwegs. Von einem Projekt zum andern. Weit weg in
Ixcán wird für Bauern, die Land bekommen haben, ein Brunnen gebohrt. Oder in
den Bergen um Cabricán muss die Wasserleitung, die das Dorf versorgt, repariert
werden. Nicht dass er alles alleine machen will. Beteiligung ist das
Zauberwort. Im Nachbardorf hat er vor Jahren eine Schule gebaut. Mit dem ganzen
Dorf. Das Grundstück hat extreme Hanglage. Ein Fundament aus Natursteinen
musste geschaffen werden. Im Gottesdienst rief er zur Mithilfe auf. Am nächsten
Sonntag brachte jeder Kirchenbesucher einen großen Stein mit. So entstand die
Schule.
Und doch, in gewisser
Weise ist er unersetzlich. Es gibt einen Förderverein in Deutschland der ca.
800 Spender mobilisiert, die jährlich 100.000 € zusammensammeln. Dreimal dürfen
Sie raten, wie der Verein heißt! Natürlich: „Padre Pedro Guatemala-Hilfe e.V.“
Der wirkliche Ruhestand muss wohl noch warten.